Februar 10, 2015

Berlins schmutzige Profite zerstören das Klima

Forderung an den Berliner Senat Investitionen in Kohle, Öl und Gas zu beenden

Divestment-Aktionen weltweit für den 13.-14. Februar angekündigt

Berlin — In einem offenen Brief an die Stadt Berlin fordern Klimawissenschaftler, Politiker, Ärzte, Soziologen, Künstlerinnen und Bürger den Regierenden Bürgermeister und Senat auf, Investitionen in fossile Brennstoffe zu beenden. Zu den Unterzeichnern zählen Klimawissenschaftler Prof. Hans Joachim Schellnhuber und Prof. Stefan Rahmstorf vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung, dessen Expertise die Stadt für ihr Klimaschutzkonzept hinzugezogen hat. [1]

Prof. Schellnhuber, Direktor des Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung, sagte: „Jeder Einzelne muss sich entscheiden, ob er sein Geld in die Zerstörung des Planeten oder in die Bewahrung der Schöpfung investiert.” Er bezeichnete die Divestment-Kampagne als „die wichtigste Aktion, die es jemals für den Klimaschutz gegeben hat”.

Zu den Unterzeichner*innen des Briefes zählen unter anderem Reinhard Bütikofer, Mitglied des Europäischen Parlaments, Prof. Harald Welzer, Direktor der Stiftung FUTURZWEI in Berlin, Prof. Dr. med. Andreas Ströhle, Universitätsprofessor und Leitender Oberarzt an der Charité, Annemie Vanackere, Künstlerische Leitung & Geschäftsführung Hebbel-Theater Berlin, Lisa Paus Mitglied des Bundestages Obfrau und Mitglied im Finanzausschuss, Bündnis 90/Die Grünen, Luise Neumann-Cosel, BürgerEnergie Berlin und Kohleausstieg Berlin. [2]

Die Unterzeichner schreiben an den Berliner Senat: „Die Stadt Berlin will einen ambitionierten Klimaschutz betreiben und bis zum Jahr 2050 klimaneutral werden. Im Gegensatz dazu steht, dass die Hauptstadt zeitgleich durch ihre Geldanlagen in fossile Brennstoffunternehmen investiert.”

Berlin hält derzeit rund 1 Milliarde Euro an investierbarem Finanzanlagevermögen. [3] Das Anlagekonzept ermöglicht Investitionen in die 200 Kohle-, Öl- und Gasunternehmen, die den überwiegenden Teil an fossilen Brennstoffreserven halten. Da rund 80% dieser Reserven nicht verbrannt werden können, um die globale Erwärmung auf 2 °C zu begrenzen [4], sind diese Investitionen nicht nachhaltig. Zudem stellen sie ein hohes finanzielles Risiko dar, wie beispielsweise verschiedene Studien und zuletzt die Deutsche Bank warnen. [5] Berlin investiert unter anderem über den Euro Stoxx 50 und Dax 30 Index in BASF, E.ON, Enel, ENI, GDF Suez, Repsol YPF, RWE und Total. [6]

Molina Gosch von der ehrenamtlichen Kampagnengruppe Fossil Free Berlin, die den Brief initiiert hat, kommentiert: „Berlin macht mit seinen schmutzigen Investitionen seine ambitionierten Klimaschutzziele zunichte und setzt zudem öffentliche Gelder einem hohen finanziellen Risiko aus. Berlin muss Stellung beziehen und seine Unterstützung für Unternehmen, die die Klimakrise befeuern, kappen.”

Fossil Free Berlin ist Teil einer rasant wachsenden globalen Bewegung, die Divestment von fossilen Brennstoffen fordert. Seit dem Start der ersten Kampagne vor zwei Jahren in den USA, haben sich bis Ende 2014 bereits über 180 Institutionen mit einem Vermögen von mehr als $50 Milliarden zu einem Investitionsstopp in fossile Brennstoffunternehmen bekannt. [7] Ziel der Bewegung ist es, der fossilen Industrie die soziale Akzeptanz und damit ihren politischen Einfluss zu entziehen, um den Weg für die globale Energiewende zu ebnen.

„Die Divestment-Bewegung zeigt bereits riesige Wirkung,” so May Boeve, Geschäftsführerin der Klimaschutzorganisation 350.org, die die Fossil Free Kampagne mit initiiert hat. „In nur zwei Jahren hat sich diese Kampagne von ein paar Unis zu hunderten von Institutionen auf der ganzen Welt ausgebreitet. Gemeinsam fordern wir erfolgreich die soziale Akzeptanz der fossilen Industrie heraus und nagen bereits an ihrer politischen Macht. Der Global Divestment Day wird diese Erfolge feiern und ein neues Kapitel dieser wachsenden Bewegung schreiben.”

Zum Global Divestment Day am 13./ 14. Februar werden tausende Fossil Free Aktivisten in 48 Ländern über 6 Kontinente verteilt, mit vereinten Kräften ihrem Ruf nach Divestment Nachdruck verleihen. In Deutschland werden bestehende Fossil Free Gruppen beispielsweise in Freiburg, Heidelberg und Münster aktiv werden, während in Köln, Bochum, Eisenach und München neue Kampagnen starten. In Berlin wird ein Flashmob am Alexanderplatz in Form eines Wettlaufs mit dem Berliner Bären stattfinden. Von Unterstützern angefeuert, wird sich zeigen, ob Berlin das Divestment-Rennen gewinnt. [8]

Weltweit sind unter anderem folgende Aktionen geplant:

  • In den USA und Großbritannien planen hunderte Studenten Sitzblockaden und Flashmobs an ihren Universitäten.

  • In ganz Australien werden Tausende ihre Konten bei Banken schließen, die sich an der Finanzierung des weltgrößten Kohlehafens nahe dem Great Barrier Reef beteiligen wollen.

  • In London werden Hunderte die City Hall stürmen, um von einem der wichtigsten Finanzzentren der Welt, eine Vorreiterrolle zu fordern, indem es seine gefährlichen Beziehungen zu fossilen Brennstoffen beendet. Außerdem wird bei der Generalsynode der Kirche von England ein Gebetsprotest Divestment aus Solidarität mit denen auf der Welt, die am meisten unter dem Klimawandel leiden, fordern.

  • Im Vatikan werden Hunderte bei einem Lichtprotest den Papst auffordern, sich an die Spitze des Klimaschutzes zu setzen, indem der Vatikan deinvestiert.

  • Eine Fahrraddemo in Amsterdam mit hunderten Radfahrern wird angesichts der schmutzigen Investitionen der Stadt lautstark Alarm schlagen.

  • Aktionen auf den Pazifikinseln in Vanuatu und Papua-Neuguinea wollen folgende Nachricht vermitteln: „Divestment ist der Weg unseren Kindern eine Zukunft zu ermöglichen und unsere Inseln über Wasser zu halten.”

  • Zahlreiche Veranstaltungen werden über den afrikanischen Kontinent verteilt stattfinden, von Burkina Fasound Benin bis Nigerien, Ägypten und Südafrika.

  • In Nepal wird eine neue Kampagne Hunderte zu einer künstlerischen Aktion mit Regenschirmen zusammenbringen.

  • Während Norwegens Parlament die Investitionen des staatlichen Investmentfonds in fossile Brennstoffe überprüft, werden Hunderte in Oslo fordern, dass der Fonds sich von Kohle, Öl und Gas trennt.

  • Bei einer Kunstdarbietung vor dem Stockholmer Rathaus wird eine Menschenmasse die fossilen Brennstoffe, die in den Stadtrat eingedrungen sind, vertreiben und in eine Klimalösung umwandeln.

  • In vielen Ländern gehen neue Fossil Free Kampagnen an den Start, beispielsweise in Frankreich, Mexiko,Peru, Vietnam, der Ukraine und Japan.

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Kontakt:

Molina Gosch, Fossil Free Berlin, 0160 262 40 79, Molina.Gosch@gmx.de

Tine Langkamp, Fossil Free Kampagnenkoordinatorin Deutschland, 0151 701 69 509, tine@350.org

FotosFossil Free Berlin fordert mit einem Banner vor dem Berliner Abgeordnetenhaus „Kein Geld für Kohle, Öl und Gas”

Unterzeichner*innen des offenen Briefes sagen:

Prof. Dr. Harald Welzer, Professor für Transformationsdesign an der Europa-Universität Flensburg, Mitbegründer und Direktor von FUTURZWEI – Stiftung Zukunftsfähigkeit: „Wir brauchen mehr Ideen, wie man die fossile Wachstumswirtschaft schwächt und weiter Räume für nachhaltiges Wirtschaften öffnet. Divestment ist so eine Idee, die höchst praktikabel ist.”

Lili Fuhr, Referentin Internationale Umweltpolitik der Heinrich-Böll-Stiftung: „Die fossile Industrie hat keine Zukunft. Kohle, Öl und Gas verursachen Klimachaos und Leid. Berlin sollte dazu keinen Beitrag leisten, sondern mutig in die Zukunft investieren.”

Dr. Bernd Sommer, Leiter des Bereichs „Klima, Kultur und Nachhaltigkeit“ am Norbert Elias Center for Transformation Design & Research der Europa-Universität Flensburg: „Grundsätzlich ist es moralisch fragwürdig, Geld in Unternehmen zu investieren, deren Geschäftsmodell nachweislich zerstörerisch ist. Ganz konkret passt es aber auch nicht zusammen, wenn die Stadt einerseits Klimaschutz und die Einhaltung des 2-Grad-Ziels propagiert und andererseits an den Erträgen der großen Mineralöl- und Kohlefirmen mitverdienen will. Derartige Widersprüche schwächen die Glaubwürdigkeit der öffentlichen Entscheidungsträger und tragen insgesamt zur Politikverdrossenheit bei.”

Reinhard Bütikofer, MdEP und Ko-Vorsitzender Europäische Grüne Partei: „Unsere Erfahrung zeigt: Der Kampf für eine starke Klimapolitik kann nicht allein der internationalen Klimadiplomatie überlassen werden. Wir brauchen eine aktive gesellschaftliche Bewegung – und die Carbon Divestment Kampagne ist dafür zentral!”

Dr. Martin Cames, Leiter Bereich Energie & Klima (Berlin), Öko-Institut: „Ich unterzeichne gerne, da konsequenter Klimaschutz auf allen Ebenen ansetzen muss. Anders ist die notwendige Transformation nicht zu schaffen.”

Prof. Dr. med. Andreas Ströhle, Universitätsprofessor und Leitender Oberarzt, Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Charité – Universitätsmedizin Berlin: „Ich unterstütze diesen Brief mit dem Ziel der Erreichung der Klimaziele.”

Werner Landwehr, Prokurist, Regionalleiter GLS Bank Berlin: „Mündige Konsumenten wissen, dass sie mit Ihrer Kaufentscheidung die gesellschaftlichen Verhältnisse, in denen wir leben, mit gestalten. Dass dies in einem viel höheren Maße auch für jede Handlung im Umgang mit Geld gilt, hat sich als Erkenntnis noch nicht im gleichen Maße durchgesetzt. Die GLS Bank setzt sich seit 40 Jahren für einen bewussteren Umgang mit Geld ein. Immer wieder haben wir auch in den verschiedensten Zusammenhängen auf die enorme Vorbildfunktion der Politik hingewiesen wie auch auf das bedauerliche Gegenteil, die Politik-Müdigkeit, wenn öffentliche Akteure ihre Glaubwürdigkeit weiter verspielen, indem ihre Investitionsentscheidungen genau dem widersprechen, was sie an anderer Stelle den Bürgern predigen.”

Lisa Paus, MdB: „Sparsamere Autos, weg mit der dreckigen Kohle und effizientere Maschinenparks – all das hilft gegen die Klimakrise. Deutlich mehr Aufmerksamkeit verdient aber die Tatsache, dass noch immer viel zu viel Geld in Unternehmen mit einem Geschäftsmodell von vorgestern fließt. Die Stadt Berlin kann vormachen, dass es auch anders geht.”

Für die Redaktion:

[1] Machbarkeitsstudie: Klimaneutrales Berlin 2050

[2] Offener Brief an den Berliner Senat & Petition

[3] Angabe des Grünenfraktionssprechers für Wirtschaftspolitik, Bola Olalowo, MdA

[4] Carbon Tracker Initiative & London School of Economics: Unburnable carbon 2013: Wasted capital and stranded assets (2013). BBC: Most fossil fuels ‚unburnable‘ under 2C climate target – University College London (2015)

[5] The Guardian: Carbon bubble will plunge the world into another financial crisis – report (2013). Deutsche Bank: Peak carbon before peak oil.Konzept (2015)

[6] Senatsverwaltung für Inneres und Sport (2013): Bericht der Senatsverwaltung Inneres und Sport an den Hauptausschuss des Abgeordnetenhauses. Rote Nummer 0316B vom 20. August 2013. I D 15 – 0463/1000 90223 2630.

[7] Liste der Divestment-Erfolge

[8] Global Divestment Day in Berlin, 14. Februar, 12:00, Brunnen der Völkerfreundschaft/ Alexanderplatz

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