Von Andreas Brinck, Fossil Free Essen:

Wenn man sich eine 10 m Strecke vorstellt, so habe sich Essen gerade um 2 cm bewegt, sagen sie im Hauptquartier von Fossil Free Essen noch Anfang letzter Woche nach einem informellen Gespräch mit einer der Fraktionen aus der Essener großen Koalition im Stadtrat. Schon seit Monaten arbeiten verschiedene Protagonisten des Essener Teams hinter den Kulissen der Stadtpolitik in enger Abstimmung mit Greenpeace Ruhrgebiet an dem, was vor ein paar Jahren noch unmöglich schien: dem Verkauf der städtischen RWE-Aktien.

Vor ein paar Jahren, das ist so etwa 2010. Die Klimabewegung, wie wir sie heute kennen, steckt in den Kinderschuhen und in Amerika werden kleine Divestment-Erfolge. gefeiert So scheint es immer noch eine gute Entscheidung zu sein, in RWE zu investieren, als die Stadt Essen damals weiter aufstockt. Die Ruhrgebietsstädte Essen und Dortmund überbieten sich sogar eine zeitlang förmlich beim Zukauf von Aktien, um sich als starker Standortpartner für den Hauptsitz des Energieversorgers in Position zu bringen. Letztendlich bleibt RWE in Essen.

Während das Halten der Aktien vor ein paar Jahren bei einem hohen Stückpreis und jährlicher Dividende finanziell noch für die Städte noch einträglich war, befindet sich die Aktie nun schon seit längerem im Sinkflug, die Dividende ist auf unbestimmte Zeit ausgesetzt.

Ein dickes Brett haben wir zu bohren, sagen die Fossil-Free-Aktivisten im Jahr 2013 bei einem ihrer ersten Treffen in Essen. Gerade in der Ruhrgebietsmetropole ist der Konzern im Kopfe vieler Bürger als vermeintlicher Arbeitsplatzgarant fest verankert und nicht wegzudenken. Aber mit Aktionen vor dem Rathaus und auf den Straßen bringen die Aktivisten das Thema in den Oberbürgermeisterwahlkampf im Spätsommer 2015. Und die Begegnungen mit den Bürgern geben auch Zuversicht: viele Essener haben kein Verständnis mehr für das Investment in einen maroden Konzern ohne nachhaltiges Geschäftsmodell – weder ökologisch noch ökonomisch.

Auch auf politischer Ebene ist der Standpunkt zu RWE bei den Fraktionen keinesfalls eindeutig: Nach einem Schreiben der Fossil-Free-Gruppe an die Ratsfraktionen zum Thema Divestment wird deutlich, dass auch Interesse an einem Verkauf der Aktien des Energieunternehmens besteht.

Mittlerweile gibt es gute Kontakte zu mehreren Ratsmitgliedern der Ratsfraktionen, dazu das starke Bündnis mit Greenpeace und eine großangelegte Kampagne der beiden Organisationen. Divestment-Kampagnen laufen in Essen auf verschiedenen Ebenen. In vielen Gesprächen haben sie immer die Position der Stadt hinterfragt und immer wieder erklärt. Viele Ratherren und -frauen kennen gar nicht das komplizierte Konstrukt, in welches die Stadt Essen verstrickt ist.

Selbst der Oberbürgermeister scheint sich der Lage nicht bewusst zu sein. Auf RWE angesprochen, gibt er immer wieder zu bedenken, dass gerade jetzt ein äußerst schlechter Zeitpunkt für einen Aktienverkauf sei. Ein Verkauf zu einem günstigeren Zeitpunkt sei aber keineswegs ausgeschlossen.

Aber so einfach geht das gar nicht.

Die Aktien sind in einer Schachtelgesellschaft, der RWE-Beteiligungsgesellschaft gebunden. Eine Kündigung ist nur einmal im Jahr möglich. So wird es Kommunen erschwert, ihre Anteile zu verkaufen. In diesem Jahr wurde die Austiegsfrist bei der RWE-Bg aufgrund der prekären Situation im Konzern bis zum 15. Juli verlängert.

Trotz einer realitätsfernen Unternehmenspolitik und massiver Kritik von Aktionären und Klimaschützern hält die Stadt Essen der RWE AG weiterhin die Treue. Die Hauptversammlung des Konzern im April in Essen wird für den Konzern zum Fiasko. Fast nebensächlich die Ankündigung, dass keine Dividende mehr gezahlt werde. Doch für viele Kommunen ist das nun der Tropfen der das Fass zum Überlaufen bringt und die Stimmung in den Kommunen beginnt sich zu verändern. Die Kommunen nutzen jetzt die verlängerte Frist zum Ausstieg bei der Beteiligungsgesellschaft, um für einen Aktienverkauf handlungsfähig zu sein.

Doch OB Thomas Kufen bleibt stur. Selbst Ende April als Grüne und Linke gemeinsam einen Antrag in den Rat einbringen, die Stadt Essen solle ein Ausstiegsszenario zum Verkauf von Aktien der RWE AG möglichst im Zusammenspiel mit anderen Kommunen, die RWE-Aktien veräußern wollen, erarbeiten und den Gremien möglichst bis zum Finanzausschuss am 14. Juni zur Beschlussfassung für die Ratssitzung am 22. Juni vorlegen, blockt der Oberbürgermeister. Man solle die Angelegenheit doch interfraktionell im ‘Hinterzimmer’ erörtern. Während andere Kommunen wie Dortmund, Bochum, Mülheim und Soest reagieren und das Herauslösen ihrer Anteile aus der RWEBg anbahnen – Stillstand in Essen.

Weder die Grünen noch die Linken verfolgen ihren Ratsantrag und so verfällt die Möglichkeit, Mitte Juni im Finanzauschuss etwas zu beschließen.

Dabei ist ein Beschluss vor dem 15. Juli wichtig, um nicht wieder ein Jahr in der Beteiligungsgeselschaft gebunden zu sein.

Handlungsfähigkeit ist demnach ein wichtiges Argument der Essener Divestment-Bewegung für eine Kündigung der Beteiligung. Trotz der Blockadehaltung im Rat, stehen die Chancen dafür nicht ganz so schlecht. Hinter den Kulissen wurden mehrere Entscheidungsträger in den verschiedenen Fraktionen überzeugt, doch politisch sei das alles nicht so einfach, gibt man aus CDU, SPD und Grünen Fraktion immer wieder zu verstehen.

Dann erscheint neues Rating der RWE-Aktie und auf einmal scheint die Essener Politik unmittelbar vor dem Tipping Point. Die RWE-Beteiligungsgesellschaft wankt jetzt: der Kreis Soest beschließt, den Wertpapierleihvertrag mit der RWEB zum 30. September zu kündigen, um wieder selbst über einen Verkauf der RWE-Aktien entscheiden zu können.

Und es kommt Bewegung in die Essener Ratsfraktionen. Die SPD kommuniziert am 17. Juni über Twitter und Facebook zu Greenpeace und Fossil Free: „Wir diskutieren aktuell unseren Umgang mit der RWE Aktien 24925590082_af39f9464f_zinnerhalb der SPD Fraktion. Ungern würden wir aus diesem Grund unseren Diskussionsprozess in die Öffentlichkeit tragen. Wir sind am Ball.“, heißt die Botschaft. Eine kleine Sensation für Essen.

 

Daraufhin erstellen die Aktivisten einen schriftlichen Appell an alle Ratsmitglieder, der noch am Samstagabend abgeschickt wird. Darin fordern Greenpeace Ruhrgebiet und Fossil Free Essen gemeinsam dazu auf, am Mittwoch einen Beschluss für ein zügiges Essener Ausstiegsszenario zu fassen.

Nun ist es am Essener Rat, dem Oberbürgermeister Kufen vorsitzt, Essen handlungsfähig zu machen. Die beiden Gruppen von Greenpeace und Fossil Free werden die Entscheidung am Mittwoch, den 22.6.2016 begleiten und die lokale Presse ist informiert.

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