Funktioniert Divestment?

Während die Fossil-Free-Europa-Kampagne ihren dritten Jahrestag und die 160. Divestmentverpflichtung feiert, zeigen wir Weitsicht und fragen uns, ob Divestment aus fossilen Brennstoffen noch immer eine gute Taktik ist, um die Klimakrise zu lösen.

 

Zurück zu den Anfängen

Knapp 3 Jahre sind vergangen, seit die Fossil-Free-Europa-Kampagne im Oktober 2013 startete und Wellen der Begeisterung durch die europäische Klimabewegung sandte. Bei einer energiegeladenen Tour durch Europa , angeführt von Bill McKibben und inspirierenden Klimaaktivist*innen, wurde ein mutiger und ambitionierter Plan vorgestellt, um den Hauptverursacher der Klimakrise zur Strecke zu bringen — die Kohle-, Öl- und Gasindustrie!

Durch das stetige Aushöhlen genau jener sozialen Strukturen, die diesen Wirtschaftssektor unterstützten, so erhofften sich Aktivist*innen, sollte Divestment dazu beitragen, den mächtigsten und zerstörerischsten Industriezweig der Welt zu schwächen und Raum für erneuerbare Alternativen zu schaffen. Es war an der Zeit, die Industrie und ihr gefährliches Geschäftsmodell in aller Öffentlichkeit an den Pranger zu stellen und die öffentliche Meinung gegen sie zu wenden.

Natürlich gehört jede*r von uns öffentlichen Institutionen an, wie etwa Universitäten, Kirchengemeinden, Pensionsfonds, Banken, Gesundheitsorganisationen oder Museen, die mit ihren Investitionen die Aktivitäten von Shell, BP, Total & Co. unterstützen, und wir alle sind Teil öffentlicher Beziehungen. 350.org und Partnerorganisationen haben daraufhin begonnen, eine breite, von Menschen getragene Bewegung aufzubauen, um diese Institutionen dazu zu bringen, ihre Gelder aus fossilen Brennstoffen abzuziehen und jene Verbindungen aufzubrechen.

Jetzt, fast 3 Jahre später, lohnt es sich, aus den bisherigen Errungenschaften Bilanz zu ziehen. Funktioniert Divestment?

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Wir reiten unsere dritte Welle

2013 sorgte ein Bericht der Smith School an der University of Oxford für Schlagzeilen, denn er bezeichnete Divestment aus Kohle, Öl und Gas als die „am schnellsten wachsende Divestment-Bewegung”, die es je gegeben hat. Die Autoren des Berichts hatten frühere Divestment-Bestrebungen gegen Apartheid und die Tabakindustrie untersucht und dabei drei eindeutige „Wellen” der Dynamik identifiziert. In den meisten Fällen dauerte es Jahrzehnte, bis diese Kampagnen die kritische Masse an erforderlichen Divestment-Ankündigungen erreicht hatten.

Nach nur dreijähriger Fossil-Free-Kampagne in Europa steuern wir gerade auf den Höhepunkt unserer eigenen „dritten Welle” zu — den Punkt, an dem eine Kampagne sich verselbstständigt und viral verbreitet. Der Verzicht auf Investitionen in fossile Brennstoffe hat sich rasch entwickelt — von der radikalen ethischen Haltung einer Handvoll kleinerer, moralischer Institutionen hin zu weit verbreiteten Erwägungen unter großen und kleinen Investor*innen im Jahr 2016.

Was als kleines Rinnsal erster Divestment-Ankündigungen von wegweisenden, fortschrittlichen Institutionen wie den Quäkern in Großbritannien und der Schwedischen Kirche begann, hat jetzt einige der größten Pensionsfonds und Versicherungsunternehmen Europas, Dutzende Spitzen-Universitäten, den größten Staatsfonds der Welt, fünf bedeutende europäische Hauptstädte sowie philanthropische Stiftungen und kulturelle Institutionen mit sich gerissen.

Aus dem Bericht der Smith School, 2013: Verlorene Vermögenswerte und die Kampagne zum Divestment aus fossilen Brennstoffen: Was bedeutet Divestment für die Bewertung von in Kohle, Öl und Gas angelegtem Vermögen?

Aus dem Bericht der Smith School, 2013: Verlorene Vermögenswerte und die Kampagne zum Divestment aus fossilen Brennstoffen: Was bedeutet Divestment für die Bewertung von in Kohle, Öl und Gas angelegtem Vermögen? Zum Vergrößern anklicken

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Bemerkenswerte Divestment-Verpflichtungen in Europa

City of Berlin
Norwegian Sovereign Wealth Fund
Glasgow University
Guardian Media Group

World Council of Churches
Crédit Agricole
City of Oslo
British Medical Association

Wer in Europa deinvestiert aus fossilen Brennstoffen?

Allein die europäischen Zahlen sind beeindruckend: Bislang haben wir mehr als 160 Divestment-Verpflichtungen erreicht — mit 265 Kampagnen, die von kommunalen Pensionskassen über Universitäten bis hin zu nationalen kirchlichen Stiftungen auf unglaublich viele Zielgruppen ausgerichtet waren. Europäische Institutionen stehen für nahezu 84 % des gesamten weltweiten Divestments und machen einen Betrag von mehr als 4 Billionen US-Dollar an Vermögenswerten aus, die bislang aus fossilen Brennstoffen abgezogen wurden.

Man kann also mit Recht sagen, dass die Divestment-Bewegung weit über die kleine Gruppe von Menschen hinausgewachsen ist, die eine mutige Idee hatten, mit der alles begann. Heute haben wir es mit einer weltweit vernetzten Bewegung zu tun, die allein in Europa fast 80.000 Mitglieder zählt.

Im vergangenen Jahr gaben die Hauptstädte Frankreichs, Deutschlands, Norwegens, Schwedens und Dänemarks öffentlich Versprechen ab, nicht mehr in Kohle, Öl und Gas zu investieren, was international für Schlagzeilen sorgte. London, Amsterdam und viele andere werden auch nicht mehr lange auf sich warten lassen, gemessen an dem Druck, unter dem sie stehen, sich auf die richtige Seite der Geschichte zu schlagen.

40 % aller Universitäten weltweit, die sich zum Divestment verpflichteten, haben ihren Sitz in Europa; Großbritannien nahm die Rolle des Vorreiters ein, als Glasgow 2014 den Anfang machte und kurz darauf 24 weitere Institutionen folgten.

In der Zwischenzeit hat sich die Divestment-Bewegung viral in ganz Europa verbreitet und erst kürzlich wurden neue Graswurzelbewegungen in Belgien, der Schweiz, Norwegen, Italien und Finnland gegründet.

Französische und holländische Aktivist*innen versuchen zurzeit, Divestment im kulturellen Bereich nach dem Vorbild der unglaublich erfolgreichen „Liberate Tate”-Kampagne voranzutreiben, indem sie symbolträchtige Institutionen wie den Louvre und das öffentliche „Greenwashing” der fossilen Brennstoffindustrie ins Visier nehmen. Zudem arbeitet eine Gruppe von Politiker*innen in Großbritannien gerade daran, dass die Pensionsfonds aller Mitglieder des britischen Parlaments ihre in Kohle, Öl und Gas angelegten Gelder abziehen.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Einen öffentlichen Meinungswandel erreichen — so lautet die Devise

Diejenigen, die Divestment nach wie vor mit der Begründung ablehnen, es werde keine spürbaren Auswirkungen auf die Unternehmensergebnisse der Kohle-, Öl- und Gasindustrie zeigen, haben nicht verstanden, worum es in der Kampagne eigentlich geht — unser Erfolg hängt von der Stigmatisierung fossiler Brennstoffe ab. Wir dürfen die Errungenschaften der Fossil-Free-Kampagne nicht in Geldbeträgen messen, die aus diesem oder jenem Ölkonzern abgezogen wurden, sondern daran, wie sozialverträglich es ist, in diesen Industriezweig zu investieren oder öffentlich damit in Verbindung gebracht zu werden.

Und wenn so unterschiedliche Investoren wie die British Medical Association, der Weltkirchenrat, der Rockefeller Brothers Fund, die Stadt Paris, die Universität Stockholm, die Tate Britain und die Allianz Versicherung gemeinsam der Kohle-, Öl- und Gasindustrie den Rücken kehren, wird diese Botschaft auch laut und deutlich bei weiten Teilen unserer Gesellschaft ankommen.

Während Sonnen- und Windenergie sowie Gezeiten- und Wasserkraft in Bezug auf Bezahlbarkeit, positive Bewertung in der Öffentlichkeit und Wirtschaftlichkeit pro Kilowattstunde gerade einen gewaltigen Sprung nach vorn machen, hatten die Unternehmen der fossilen Brennstoffindustrie nie zuvor einen schlechteren Ruf oder waren mehr in der Defensive (sogar der Leiter von EURACOAL, dem Europäischen Stein- und Braunkohleverband, meint, man wird die Chefs von Kohleunternehmen bald ebenso hassen wie einst die „Sklavenhändler” ).

Ein starker und anhaltender weltweiter Ölpreisverfall hat unserer Kampagne zusätzliche Argumente für Divestment geliefert. Inzwischen werden Kohle und Teersande wirtschaftlich zunehmend unrentabler und man versucht, extrem umweltschädliche Energieprojekte, wie beispielsweise Schiefergas oder Braunkohle, durch rechtliche Hürden und eine wieder auflebende weltweite Blockadebewegung, die mit zivilem Ungehorsam den Verbleib fossiler Brennstoffe im Boden fordert, zu verhindern.

Denn tatsächlich bleibt uns nur noch ein winziges Zeitfenster, um eine ernsthafte globale Klimakrise abzuwenden; für einige Menschen in besonders gefährdeten Regionen ist es sogar schon zu spät, um Auswirkungen wie steigende Meeresspiegel, Überflutungen oder Waldbrände noch abzuwenden. Wir haben weder die Zeit noch die Macht, um die gesamte Kohle-, Öl- und Gasindustrie zu stoppen — aber Divestment gibt uns eine Chance, diese Industrie gerade lang genug aufzuhalten, damit sie von erneuerbaren Alternativen überholt werden kann.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Was kommt als Nächstes?

Es ist eine unbequeme Wahrheit, dass einige Institutionen vor einem vollständigen Divestment zurückschrecken und stattdessen nur zum Teil ihre Gelder aus der Förderung von Kohle oder Teersanden abziehen. Dadurch laufen sie — wissentlich oder unabsichtlich — direkt in jene Falle, die die Großen der Kohle-, Öl- und Gasindustrie für sie ausgelegt haben.

Konzerne wie Shell, BP oder Exxon sind nämlich bereit, „schmutzige” Kohleunternehmen (und deren Angestellte) in den kommenden Jahren zu opfern, während sie jede sich bietende Gelegenheit nutzen, um Gas als einen „sauberen” Übergangstreibstoff anzupreisen. Hierbei handelt es sich um eine äußerst bewährte Lockvogel-Strategie.

Aber die wissenschaftlichen Fakten und die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache: Um eine Klimakrise abzuwenden, müssen wir JEGLICHE neue Exploration fossiler Brennstoffe sofort stoppen und mindestens 80 % der derzeitigen Kohle-, Öl- und Gasreserven im Boden lassen.

Investor*innen, die nur teilweise ihr Vermögen aus fossilen Brennstoffen abziehen, oder diejenigen, die immer noch die Einflussnahme von Anleger*innen auf Geschäftsaktivitäten unterstützen, um damit Unternehmen von innen heraus zu verändern,machen sich eines schweren Inkrementalismus schuldig , der lediglich dazu dient, den Status quo aufrechtzuerhalten und die Profite jener Unternehmen zu begünstigen.

Als Initiator*innen von Divestment-Kampagnen müssen wir solchen Fallstricken gegenüber wachsam bleiben, während wir über#DivestTheRest den Druck auf unsere Institutionen erhöhen. Die Geschichte hat gezeigt, dass nichts und niemand resistent gegenüber Veränderungen ist, wenn genügend Menschen friedlich zusammenstehen, um diese Veränderungen einzufordern.

Doch dafür ist unsere Bewegung im Moment einfach noch nicht groß und mächtig genug. Wenn du einer beliebigen Person auf der Straße etwas über Divestment erzählst, kann es sein, dass sie dich immer noch verständnislos anstarrt — es gibt also noch viel für uns zu tun. Unsere Arbeit ist es jetzt, auf die enorme Dynamik der letzten drei Jahre aufzubauen und auf jede uns verfügbare kreative Taktik zurückzugreifen, damit diese Divestment-Bewegung zu einer unaufhaltsamen, von Menschen gemachten Triebkraft für Veränderungen heranwächst.

Im kommenden Jahr könnt ihr mit größeren, mutigeren und weitaus koordinierteren Aktionen auf globaler, nationaler und regionaler Ebene rechnen, um die wahnsinnigen und unmoralischen Pläne der Kohle-, Öl- und Gasindustrie ins Licht der Öffentlichkeit zu rücken. Die dritte Welle ist unterwegs und unsere Bewegung muss bereit sein, sie zu reiten!

Keiner hatte so recht geahnt, welch ein mächtiger Antrieb für Veränderungen wir werden würden, als wir uns 2013 daranmachten, die für den Klimawandel verantwortlichen Unternehmen moralisch in den Bankrott zu treiben. Wenn wir heute in die Zukunft blicken, scheinen wir diesem Ziel näher zu sein als je zuvor.

 

 


Dieser Blog wurde von Louise Hazan verfasst, die 2013 die Fossil-Free-Kampagne an britischen Universitäten ins Leben rief. Seitdem arbeitet sie mit 350.org zusammen, um für die Verbreitung und Unterstützung der Fossil-Free-Kampagne in Europa zu sorgen.

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